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Wer Menschheit sagt, will betrügen
Carl Schmitt
Carl Schmitt ist zwar bis heute mit Recht eine umstrittene Persönlichkeit, doch gilt er genau so unumstritten zu den bedeutendsten Staatstheoretikern und Liberalismus Kritiker des 20. Jahrhunderts. Seine Kritik am Liberalismus ist hierbei von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur bis heute starken Einfluss übt, sondern dieser Einfluss jegliche Grenzen und politische oder religiöse Standpunkte überschreitet. Schmitt scheint also eine Wunde unserer liberalen Massendemokratie aufgedeckt zu haben welche sicherlich von Bedeutung ist, vor allem aber für jeden von Bedeutung zu sein scheint. Was aber, ist diese Wunde?
In seinem Essay „Der Begriff des Politischen“ definiert er das Politische wie folgt:
„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politische Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind.“
Das Politische wird hierbei klar von anderen gesellschaftlichen Kategorien wie der Moral der Wirtschaft oder der Ästhetik getrennt. Wobei jeder dieser Bereiche potentiell politisch werden kann:
„Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.“
Das Politische ist also kein abgeschlossener Bereich oder Raum und schon gar nicht auf eine jeweilige Institution zu reduzieren. Vielmehr handelt es sich um einen gewissen Intensitätsgrad.
Eine solche Definition ruft allgemein Unbehagen in einem modernen liberalen Menschen aus. Dieser versteht unter Politik meistens eine Masse, von der er selbst ein Teil ist, welche Forderungen an einen Staatsapparat stellt und sich erwartet, dass diese eingelöst werden. Auf diese Einlösung von Forderungen, soll sich der Staat wiederrum in seinen Handlungen beschränken. Das Politische, wie Schmitt es beschreibt, wird als etwas geradezu Unanständiges empfunden, welches den liberalen Werten der Inklusion, der Toleranz und dem Pazifismus direkt wiederspricht. Diese Werte aber, sind eine integraler Bestandteil des Politikverständnisses der liberalen Massendemokratie. Kurzum, es herrscht ein entpolitisiertes Politikverständnis.
Es ist nun klar, dass ein derartiger Wiederspruch nicht bestehen kann. Werte, egal von welcher Art, müssen mit Gegenwerten einhergehen. Diese Gegenwerte und wer sie verkörpert müssen zwangsläufig auch als Feind identifiziert werden. Daran führt nichts vorbei. Des Weiteren kann an einem Wert nicht einfach abstrakt festgehalten werden ohne, dass er sich an der Wirklichkeit bewährt, oder wie Schmitt es in seinem Essay „Die Tyrannei der Werte“ formuliert:
„Die Setzung ist infolgedessen nichts, wenn sie nicht durchsetzt; die Geltung muss fortwährend aktualisiert, das heißt: geltend gemacht werden, wenn er sie sich nicht in leeren Schein auflösen soll. Wer Wert sagt, will geltend machen und durchsetzen. Tugenden übt man aus; Normen wendet man an; Befehle werden vollzogen; aber die Werte werden gesetzt und durchgesetzt. Wer ihre Geltung behauptet, muss sie geltend machen. Wer sagt, dass sie gelten ohne dass ein Mensch sie geltend macht, will betrügen.“
Letztlich muss ein Wert seine Überlegenheit untermauern um die Abschaffung der Gegenwerte zu rechtfertigen. Die höchste Intensität wird hierbei erreicht wenn der Feind entmenschlicht und für rechtlos erklärt wird, dies kann entweder passieren, indem man den Feind zunehmend das Menschentum abspricht oder indem er einfach gar nicht mehr wahrgenommen wird. Somit können auch die Massendemokratie und ihre gesetzten Werte dieser Logik nicht entrinnen:
„Die subjektive Wertlehre ist nicht überwunden, und objektive Werte sind nicht schon dadurch gewonnen, dass man die Subjekte verschleiert und die Wertträger verschweigt, deren Interesse die Standpunkte, Gesichtspunkte und Angriffspunkte des Wertens liefern. Niemand kann werten ohne abzuwerten, aufzuwerten und zu verwerten. Wer Werte setzt, hat sich damit gegen Unwerte abgesetzt. Die grenzenlose Toleranz und Neutralität der beliebig auswechselbaren Standpunkte und Gesichtspunkte schlägt sofort in das Gegenteil, in Feindschaft um, sobald es mit der Durchsetzung und Geltendmachung konkret ernst wird. Der Geltungsdrang des Wertes ist unwiderstehlich und der Streit der Werter, Abwerter und Verwerter unvermeidlich“
Die Kritik sollte an dieser Stelle klar sein. Eine politische Einheit, in diesem Fall die massendemokratische Masse, entrinnt der politische Feindschaft nicht indem sie den Begriff der Feindschaft aus dem Diskurs ausschließt. Vielmehr handelt es sich um einen Selbstbetrug, welcher eine betäubte politische Masse zeugt, welche sich der Feindschaft, die sie hegt und nach welcher sie handelt ganz einfach nicht Bewusst ist. Diese Kritik bewährt sich hierbei offensichtlich sowohl an der Masse als Ganzes als auch an dem einzelnen Individuum.
CARL SCHMITT AND THE POLITICAL IN LIBERAL MASS DEMOCRACY
Whoever speaks of humanity is trying to deceive
Carl Schmitt
Though Carl Schmitt remains rightly a controversial figure to this day, he is also undeniably one of the most significant theorists of the state and critics of liberalism in the 20th century. His critique of liberalism is particularly important, not only because it continues to exert a strong influence today but also because this influence transcends all boundaries, political or religious. Schmitt seems to have uncovered a wound in our liberal mass democracy that is certainly significant and appears to matter to everyone. But what, then, is this wound?
In his essay The Concept of the Political, Schmitt defines "the political" as follows:
"The specifically political distinction to which political actions and motives can be traced is that between friend and enemy."
Here, "the political" is clearly separated from other societal categories like morality, economics, or aesthetics, though each of these areas can potentially become political:
"Every religious, moral, economic, ethnic, or other conflict transforms into a political conflict if it is strong enough to group people effectively as friends and enemies."
Thus, the political is not a confined domain or space, and certainly not reducible to any given institution; rather, it represents a certain level of intensity.
Such a definition generally provokes discomfort in the modern liberal person, who typically understands politics as a mass of which they are a part, demanding things from a state apparatus and expecting those demands to be met. The state, in turn, is expected to restrict itself to fulfilling these demands. The political, as Schmitt describes it, is perceived as something almost indecent, directly opposing the liberal values of inclusion, tolerance, and pacifism. These values are an integral part of the political understanding within liberal mass democracy. In short, there is a depoliticized understanding of politics.
It is now clear that such a contradiction cannot stand. Values, regardless of their nature, must be accompanied by counter-values. These counter-values, and those who embody them, must inevitably be identified as enemies. There is no way around this. Furthermore, one cannot simply cling to a value in the abstract without it proving itself in reality. Or, as Schmitt states in his essay The Tyranny of Values:
"A declaration is nothing if it is not enforced; validity must be continuously actualized, that is: made valid, lest it dissolve into empty appearances. Whoever speaks of value wants to assert and enforce it. Virtues are practiced; norms are applied; orders are executed; but values are declared and enforced. Whoever claims their validity must make them valid. Whoever says they are valid without someone enforcing them wants to deceive."
Ultimately, a value must prove its superiority to justify the elimination of counter-values. The highest intensity is reached when the enemy is dehumanized and declared without rights, either by gradually denying them humanity or by simply no longer perceiving them at all. Thus, even mass democracy and its declared values cannot escape this logic:
"Subjective value theory is not overcome, and objective values are not attained simply by veiling subjects and concealing the carriers of value whose interests supply the viewpoints and attack points of valuation. No one can value without devaluing, upgrading, and exploiting. Whoever sets values distinguishes themselves from disvalues. Unlimited tolerance and neutrality of interchangeable standpoints and perspectives immediately turn into the opposite—hostility—as soon as the enforcement and validation become serious. The assertion drive of value is irresistible, and the conflict of valuers, devaluers, and exploiters is inevitable."
The critique should be clear at this point. A political entity, in this case, the mass-democratic crowd, does not escape political enmity by excluding the concept of enmity from discourse. Rather, this is a self-deception, producing a numbed political mass unaware of the enmity it harbors and according to which it acts. This critique is evidently applicable to the mass as a whole as well as to each individual within it.
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